
Dienstag, 28. Juli 2020
Der Halligflieder ist jetzt in voller Blüte. Gröde zeigt sich von seiner Sommerseite.
Herzliche Grüße, Jürgen und Sabine


Montag, 6. Juli 2020
Gerade ist Ruhe eingekehrt. Auf dem Deich von der weißen Bank aus beobachte ich die Rinder, die vor der Warft grasen. Es ist halb elf. Alle halbe Stunde füllen wir Halligmänner die Wannen mit Wasser – die Rinder haben Durst. Abwarten.
Gerade scheint die Sonne zwischen den vielen Wolken. Der Wind treibt schnelle Schatten über das leuchtende Gras, über die Priele und das Tief und die Baggerlöcher, die alle noch breite Wasserflächen sind nach dem gestrigen Landunter. Mit einem Meter über normal ist die Hallig am Nachmittag gerade untergelaufen, nur einzelne grüne Streifen waren noch zu sehen an der Kante im Süden und im Westen.
Einige Rinder legen sich jetzt hin. Die Nacht haben sie im Pferch auf der Warft verbracht. Mond und Wetterleuchten verzierten die eilenden Wolken. Um sieben Uhr haben wir sie wieder rausgelassen, runtergelassen auf die Hallig, aber sie müssen in Warftnähe bleiben, denn heute Nachmittag erwarten wir das nächste Landunter, so die Prognose. Vielleicht haben wir ja etwas Glück, es kommt weniger Wasser und die Rinder bräuchten nicht wieder in den Pferch, sondern könnten unten vor der Warft bleiben.
Jetzt liegen fast alle. Sie haben ihren Durst gestillt. Sie haben das saftige Gras gefressen. Das Meer glitzert silbern. Die Möwen trotzen dem Sturmwind. Den Horizont entlang ziehen Regenschauer. Momentaufnahme. Die Rinder ruhen. Sie ruhen sich aus von den Strapazen der Nacht, von der Enge im Pferch, vom vielen Stehen. Manche liegen ganz auf der Seite, den Kopf abgelegt und alle vier Beine ausgestreckt, dösen in der Sonne und lassen ihr braunes Fell trocknen, das vom letzten Regenschauer noch nass ist.
Auf dem Rand einer Wanne stehen zwei Nilgänse und tauchen abwechselnd ihre Schnäbel ins Wasser: Eine wacht stets, ob alles rundherum in Ordnung ist: Ja alles sicher, die Rinder ruhen und Menschen sind nicht in Sicht. Eine dicke Wolke schiebt sich vor die Sonne und die Wärme verläßt mich für eine Weile, kehrt aber schnell wieder zurück. Auf dem Deich steht piepend ein Rotschenkel. Seeschwalben taumeln und schaukeln vorbei wie Gaukler. Zwei Austernfischer sitzen nebeneinander auf der Wiese. Ob sie wohl ihr Gelege betrauern, oder gar ihr Küken, das die Flut mitnahm? Windböen kräuseln das Wasser auf dem breiten Priel, auf dem eine junge Lachmöwe schwimmt: Sie hat das Hochwasser überstanden. Das war bisher keine gute Brutsaison für die Seevögel auf Gröde. Vor vier Wochen gab es schon einmal ein Hochwasser, das Teile der Hallig unter Wasser setzte. Die Windräder am Festland drehen sich heute schnell und produzieren viel Strom. Vor dem Ockholmer Deich ist eine rote Fahrwassertonne in den Lahnungsfeldern gestrandet, zeigt mir der Blick durch das Fernglas.
Inzwischen ist es halb zwei. Noch zwei Stunden bis zum nächsten Hochwasser. Die weichen weißen Wellenzungen lecken eifrig an der harten Steinkante von Habel. Die ein oder andere Gischt springt im Süden an der Gröder Kante hoch hinauf, hell aufleuchtend. Die Strahlen der gleißenden Mittagssonne spielen mit den aufblitzenden Träumen eines jeden Gischttropfens, sie lassen einen jeden Tropfen einen Moment lang über sich selbst hinauswachsen … bevor sein Traum wieder in der Nordsee verschwindet oder auf einem Stein zerplatzt. Der Traum von uns Menschen und von den Rindern, das Hochwasser des zweiten Tages vielleicht doch auf den Salzwiesen abwettern zu können, zerplatzt ebenso mit steigendem Wasserstand.
Es ist wie es ist. Herzliche Grüße, Jürgen