Archiv für den Monat November 2015

Belohnung

DSC_4363Mittwoch, 25. November 2015

Zwischen dem oberen Foto und den unteren Impressionen liegen genau 26 Stunden.
Gestern überraschte uns das stürmische Wetter mit viel zu rasch steigendem Wasser, sodass wir die Schafe nur noch auf der alten Peterswarft versammeln konnten — um die Warften herum stand schon zuviel Nordsee.
Heute dann als Belohnung ein klarer Tag mit ein paar Regenschauern, aber viel Sonne und wenig Wind. Mein ungutes Gefühl des gestrigen Tages verflüchtigte sich zunehmend beim Anblick der heutigen Himmelskunst.
Viele Grüße, Jürgen

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Bewegung

DSC_4265Freitag, 13. November 2015

Vergangenen Dienstag schickte der Sturm die ersten beiden Landunter dieses Herbstes. Bereits das Nachthochwasser hatte mit 120cm die Hallig unter Wasser gesetzt, wie das trübe Morgenlicht offenbarte, mittags kam dann wieder soviel. Auch in der kommenden Nacht erwarten wir Landunter, Sturmtief „Frank“ läßt grüßen. Nachtrag Samstag: Franks Böen drückten und drückten und ließen die Nordsee um 200cm steigen.

Ich war erst Montag nach Gröde zurückgekehrt, hatte das Wochenende mit meinen Kindern in Lübeck bei den Nordischen Filmtagen verbracht. Obwohl die Tickets ausverkauft waren, schafften wir es irgendwie, in drei Filme zu kommen, die wir gerne sehen wollten. In letzter Minute ergatterten wir zurückgegebene Karten für „Ich wäre gerne wie ich bin“, „Die Kinder des Fechters“ und „Sture Böcke“. Besonders beeindruckt hat mich die estnisch-finnisch-deutsche Koproduktion „Die Kinder des Fechters“. Der Film spielt in Estland 1952 und basiert auf einer wahren Geschichte. Um dem KGB zu entgehen, verlässt Endel Nelis Leningrad und geht in den kleinen estnischen Ort Haapsalu, wo er eine Stellung als Lehrer annimmt. Seine Leidenschaft ist das Fechten, was unter den Sowjets jedoch nicht gerade als Arbeitersport gilt. So werden seine Bemühungen um einen für die Schüler interessanten Sportunterricht denn auch vom Direktor der Schule torpediert. Zuletzt besinnt Endel Nelis sich auf seine Leidenschaft: Das Fechten, und begeistert seine Schüler auf Anhieb. Als die Kinder in der Zeitung von einem Jugend-Fechtturnier in Leningrad lesen, gibt es für sie kein Halten mehr, und Endel muss sich entscheiden: Entweder seine Schüler masslos enttäuschen oder mit ihnen weiter trainieren und zum Turnier nach Leningrad fahren — für ihn die Höhle des Löwen. Ein wunderbarer Film, bewegend, mit vielen Emotionen, der am 17. Dezember in die deutschen Kinos kommt. Lohnt sich!

Dienstag dann Landunter. Was tun? Renovierungsarbeiten an den Ferienwohnungen warteten auf mich und ein ganzer Karton Quitten. Also blieb ich erstmal im Haus. Am Nachmittag war bereits soviel Wasser wieder abgelaufen, dass die hohen Stellen der Hallig frei wurden. Ein bedeckter Himmel mit trübem Licht verkündete das baldige Dunkelwerden. Kurzentschlossen schnappte ich mir die Kamera und machte einen Spaziergang zur Schleuse: Mal schauen wie es dort tost. Ich entschied mich für ein leichtes Weitwinkelobjektiv und hoffte auf Inspiration. Über die Kirchwarft und den Priestersteg ging ich zur Westkante, an der manche Wellen noch überweg schwappten. Mit gefiel die Idee des Kontrasts von Ruhe und Stillstand mit Bewegung und Dynamik. Die aufgewühlte Nordsee und die felsenfeste Steinkante waren ideal, dies in Szene zu setzen. Ich versuchte, mit langen Belichtungszeiten die Wellen zu einer weichen Masse werden zu lassen, um weiche und harte Bildteile zu bekommen. Ich wollte die Wellen und starken Strömungen in ihrer Bewegung nicht einfrieren, sondern ihr Schaukeln und Fließen sichtbar machen. Und in der Schleuse, wo durch die weit geöffneten Tore das Wasser aus dem Inneren der Hallig mit Macht nach draußen stürzte, steigerte sich des Wassers Fließen zu einer gewaltigen Dynamik. Auch hier die schweren Steine der gesetzen Kante als zuverlässiger Ruhepol, ebenso die Anleger mit ihren Pfählen, die Häuser im Hintergrund auf der schützend hohen Warft, und der weite Horizont, sogar die massiven Schleusentore selbst. Ruhe und Bewegung, Bauwerke und Wasser, das fließende, strömende, rauschende, stürzende, tosende und sich an Hindernissen brechende Wasser.

Viele Grüße, Jürgen

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Bock haben

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Im ersten Licht des Tages: Worauf hast Du Bock heute?

Donnerstag, 5. November 2015

Ich habe heute Bock auf den kommenden Winter, auf Sturmtage und Regentage und Landuntertage, auf Frosttage und Festtage. Wenn ich auf die aktuellen Wetteraussichten schaue … da könnte schon was dabei sein. Den ganzen Oktober hindurch hatten wir auch auf Gröde einen „Goldenen Herbst“, wie anderswo in Europa auch, dazu wenig Wind, fast ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Ihr erinnert Euch: Vor zwei Jahren hatten wir mit „Christian“ schon den ersten Sturm hinter uns, mit Schäden an allen Dächern auf Gröde.

Auf was man nicht alles Bock haben kann. Wenn ich am Nachmittag von der Arbeit nach Hause komme, draußen ist es kühl und feucht, oder neblig, oder spätherbstlich sonnig, dann habe ich Bock auf einen richtig guten Kaffee mit einer Prise duftendem Kardamom, frisch vermahlen – das macht mich dann glücklich für die nächste Stunde. Dazu ein gutes Buch, auf das ich gerade Bock habe. Zur Zeit lese ich erneut die „Murmeljagd“ von Ulrich Becher, langsam und mit sich entwickelnden Imaginationen im Kopf, die aus Bechers bildhafter Sprache gespeist werden. Außerdem habe ich gerade Lesebock auf Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“, mein zweiter Anlauf, bei dem ich diesmal allerdings recht schnell durch die meisten Seiten sause, um dem Umfang des Werkes und den schier endlosen Beschreibungen des Autors Rechnung zu tragen; nur an den mich besonders berührenden Passagen verlangsame ich mein Lesetempo und lasse den Inhalt und die ausschweifende Sprache auf mich wirken. Proust spricht mehrmals von Hindernissen, die einer Entwicklung im Wege stünden. Er bereichert das Wort Hindernis jedoch zugleich mit einem spannungsvollen, ja magischen Schwung, indem er es mit den Attributen geheimnisvoll und zeitgebunden versieht (Band 2, S. 661) und damit in Bewegung  setzt, in eine Denkbewegung Richtung Zukunft, vielleicht auch in Richtung Sehnsucht, denn für sie gibt es kein Hindernis. Auf irgendetwas Bock haben ist für mich auch eine Art Sehnsucht, z.B. nach einem Ort oder einem Menschen, einer Stimmung.

Sabine hatte in diesen Tagen Bock auf Stricken. Außerdem hatte sie Bock aufzuräumen, als da waren Schränke und Fensterbänke und Zimmer und Wohnungen und sicherlich auch das Selbst, ja das kann richtig befreiend sein, wie sie meint, und sie hat Bock aufs Verreisen. Die Saison ist vorbei, das Haus ist leer. Zeit für sich, für Freunde und Kinder. Auch schön.

Die Schafe haben Bock — auf einen Bock, ihren Bock, IHREN Schafbock. Seit zehn Tagen schon gehen sie miteinander, die Schafdamen und ihr Schafbock, und mir scheint, sie sind in Stimmung, sie haben richtig Bock aufeinander, sie haben sogar Lust aufeinander, die Damen haben Lust auf ihren Liebhaber, und der Schafbock hat Lust auf seine Damen. Die Schafdamen haben einen Bock gemeinsam und alle zusammen haben sie Lust miteinander. Und so fängt der Kreislauf der Schafe wieder von vorne an. Bockzeit. Trächtigkeit. Lammzeit. Sommerzeit.
Herzliche Grüße, Jürgen

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